tl;dr Wir suchen Menschen, die jungen Leuten, die in einer Einrichtung leben, an Weihnachten ein Geschenk machen möchten. Die Organisation läuft über @MadamDatam und mich. Anmeldung unter: 43gedankenkisten@gmail.com

 

Und wir brauchen euch wieder! Brauchen euch, damit Kinder und Jugendliche ein schönes Weihnachtsfest haben. Damit diese jungen Menschen auch in diesem Jahr nicht ohne ein Geschenk an Weihnachten auskommen müssen.

MadameDatam und ich sind nun schon im 6. Jahr unserer Aktion „Gedankenkisten“ und wir freuen uns jedes Jahr sehr, dass es so viele liebe Menschen gibt, die uns dabei unterstützen, das Leben von jungen Menschen, die in einer herausfordernden Lebenssituation sind, ein bisschen schöner zu machen.

Das Ganze ist gar nicht schwierig, verlangt aber ein wenig Kreativität, einige Gedanken und Spaß am Freude bereiten!

Wir suchen Menschen, die eine kleine Kiste  für Weihnachten packen. Ohne zu wissen, wie die Person heisst, wie sie aussieht, wo sie lebt. Infos über die die Nationalität, das Alter, Hobbys, Vorlieben, die Geschlechtszugehörigkeit und dass sie an Weihnachten ohne ein Geschenk auskommen müssten, sind die einzigen Anhaltspunkte. Diese Kiste wird dann in eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche gebracht, die aufgrund ihrer erschwerten Situation Zuhause oder anderer, trauriger Umstände auf sich und die Hilfe von Menschen, die nicht mit ihnen verwandt sind, angewiesen sind. Die jungen Leute haben unterschiedliche Nationalitäten. Es sind deutsche Kinder dabei und auch Kinder die weit weg von ihrem Heimatland sind. Gerade an Weihnachten ist es für diese jungen Leute immer schwierig, mit guten Gefühlen aus dieser Zeit heraus zu gehen. Wird ihnen doch gespiegelt, dass sie an Weihnachten nicht in einem geschützten, harmonischen Zuhause leben können.

Wie genau funktioniert nun das Verschenken einer Gedankenkiste?

Ihr meldet euch bei uns über Twitter, E-Mail, Kontakt wie auch immer möglich. Daraufhin erhaltet ihr eine Nachricht. Darin enthalten sind weitere Informationen über das Procedere. Die Kinder und Jugendlichen bleiben natürlich anonym, Informationen über die Geschlechtszugehörigkeit, das Alter, Herkunft und Hobbys/Vorlieben bekommt ihr von uns. (Wir selber haben auch keinen Namen der Kinder, die Einrichtung legt großen Wert darauf, dass alles anonym bleibt.) Mit diesen Angaben könnt ihr nun im Rahmen von mehr oder weniger 15 € eine Kiste voller guter Gedanken und kleinen Geschenken oder Aufmerksamkeiten packen. Diese Kiste macht sich dann auf den Weg zu uns. Wir sammeln und sortieren sie. An einem bestimmten Tag vor Weihnachten bringen wir dann alle Gedankenkisten in die Einrichtung. Von dort aus werden sie dann ein paar Tage später von den Erzieher*innen verteilt (sie freuen sich jetzt schon wieder darauf!).

Die Erfahrung hat uns gezeigt: alle an der Aktion beteiligten Menschen sind danach sehr happy. Die Erzieher*innen, die Schenker*innen und auch wir. Ganz zu schweigen von den Kindern und Jugendlichen!

Wer sich angesprochen fühlt und dieses Jahr (wieder) mit dabei sein möchte, kann sich gerne bei uns unter folgender E-Mail-Adresse melden: 43gedankenkisten@gmail.com

Wir freuen uns schon wieder sehr und wünschen uns allen eine wunderbare Zeit!

Und was er plötzlich kann, dieser Junge. Dieser Junge, der in keiner Klasse sein kann. Der auffällt durch Unruhe, körperlich und verbal. Anteile von Tourette, Tics und Zwänge machen ihm und den Mitschüler*innen einen gemeinsamen Unterricht unmöglich. Der Leidensdruck ist enorm. Seine sozialen Kontakte bestehen meist aus Ablehnung, Auslachen, Nachäffen und Beschimpfungen. Dabei kann er doch nicht anders.

Immer wieder probierte ich es in verschiedenen Klassenzusammenstellungen, ihn in einem gemeinsamen Unterricht zu beteiligen. Immer wieder mussten wir das Projekt abbrechen. „War klar, immer bin ich es. Immer schaffe ich es nicht.“ Auch an der Heimatschule sieht es nicht anders aus: Kurzzeitbeschulung bis hin zum Aussetzen des Unterrichts für ihn.

Bei mir in der Klinikschule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat er nun eine Möglichkeit entdeckt, zu lernen. Sich zu konzentrieren, Gespräche zu führen, die Zusammenhang haben und Wirkung zeigen. In der vergangenen Woche plante ich, die Unterrichtsdauer auf 45 Minuten zu setzen. Einzelbeschulung. Zunächst mit Aufgabenblättern und Stift. Da konnte er sich über einen kurzen Moment fokussieren. Konnte sich mit den Lerninhalten auseinandersetzen. Aber eben nur kurz. Nach 15 Minuten war die Ausdauer aufgebraucht. Er ging zurück auf die Station. Mit gesenktem Kopf.

Der nächste Versuch bestand am folgenden Tag darin, die Arbeitsblätter auf das iPad zu scannen und ihn digital arbeiten zu lassen. Mit iPad und Pencil. Die Deutschaufgabe schickte ich ihm per Airdrop zu. Zeigte ihm, wie das Procedere dabei ist. Und dann fing er an zu arbeiten. In Stille. In Ruhe. Mit Konzentration und Interesse. Kein Wort von ihm. Bis er die Blätter fertig bearbeitet hatte und sagte: „Frau Knixibix, bereit?“

Seine Unterlagen kamen auf meinem iPad an, ich las sie Korrektur und übersandte ihm sein Ergebnis. Wie glücklich er war, dass er es geschafft hatte, sich ohne Tic und Zwangshandlung, ohne Kreischen und Juchzen einem Schulthema zu widmen. Das war beeindruckend. Galt er bis dahin bei Ärzt*innen und Pädagog*innen als äusserst schwierig, kaum führbar und anstrengend. Diese Arbeitsweise und damit auch er hat uns allen gezeigt, dass es da  noch was gibt, was in ihm schlummert. Was zukunftsweisend für ihn sein kann.

Und vielleicht ist das ja eine Chance. Weil er plötzlich etwas kann.

Und es wird mal wieder Zeit. Zeit, von meiner Arbeit zu berichten. Zeit, darüber zu schreiben, was vielen Menschen nicht bewusst ist. Zeit, Menschen in den Fokus zu rücken, die gerade die Zeit ihres Lebens haben: ihre schlimmste.

Diese jungen Menschen waren im jetzt vergangenen Schuljahr wieder Basis meiner Arbeit als Lehrerin an einer Krankenhausschule in der Kinder-und Jugendpsychiatrie. Sie waren Basis, meine Aufgabe, meine Bereicherung. Ich habe gezählt: 192 schwer erkrankte Kinder und Jugendliche waren im Laufe des Jahres in meinem Unterricht, weil sie sich auf der Intensivstation befanden. Diese Station ist der geschützte Bereich. Geschützt deshalb, weil diese jungen Leute entweder selbst- oder fremdgefährdet oder auch beides sind. Ihr Leben hat einen Verlauf genommen, der schliesslich in die Räume der Klinik mündete. Durch Krankheiten, durch Drogen, Gewalt, Traurigkeit. Und durch Lebensüberdruss.

Was mir aus diesem Schuljahr besonders in Erinnerung bleiben wird, das sind die Mädchen. Noch nie waren in meiner Klasse so viele 12- oder 13jährige Mädchen, die das Leben schon von Seiten gesehen haben, die für sie nicht bestimmt sind. Wilde Mädchen sind das. Laut, respektlos. Gewaltbereit. Ängstlich. Verletzend. Sich selbst und andere. Sie scheinen sich verloren zu haben. Keine Regel ist vor ihnen sicher. Keine Schule verschont durch ihre Alkoholexzesse. Ja, 12 und 13 Jahre alt. Als ich mit einer Heimatschullehrerin telefonierte und sagte, die Schülerin berichtet, sie hätte im Klassenraum geraucht, da antwortete die Lehrerin: ja, wenn sie nur das gemacht hätte, wären wir alle zufrieden gewesen.

Diese Mädchen haben alle etwas gemeinsam: schenkt man ihnen Aufmerksamkeit und mehrere Chancen, da werden sie hellhörig. Fast wach. Ihr Blick wird konstanter, die Ansprache aufrechter. Und 30 Minuten später ist alles vergessen. Immer wieder von vorne. Immer wieder aufs Neue.

Ich frage mich, wie es mit diesen Mädchen weiter geht. Meine Hoffnung, dass kleine Momente der Freude und des Erfolgs im Unterricht ein Punkt auf ihrer lebensbejahenden Seite bedeutet, die mag naiv klingen. Sie ist aber das, was mich meine Arbeit mit diesen Menschen mit Freude machen lässt. Ohne sie wäre ich nicht dort: ohne die Hoffnung, dass kleine Sequenzen fürs Leben zählen, da käme ich nicht weit.

Schon gar nicht, wenn die gesamte Station, auf der ich arbeite, nicht so offen, loyal, respekt- und humorvoll wäre. Heute, am letzten Schultag, da wurde mir nochmals bewusst, dass gute Arbeit nur im Team funktioniert. Und das tut es. Was für ein Glück!

Neben den wilden Mädchen sind es auch die jungen Menschen mit Psychosen, an die ich mich erinnern werde. Aus dem Leben gerissen, in eine andere Welt hinein und nur mühsam und extrem langsam da wieder raus finden: was für eine Aufgabe für Menschen, die eigentlich jung sein sollten. Vor Lebensenergie strotzen sollten. Aber diese Mädchen und Jungen müssen ganz von vorne anfangen: Schule beginnt meistens mit 15 Minuten. Danach sind sie erschöpft. Es ist grossartig, wie mutig diese Menschen sind, sich auf den Heilungsprozess einzulassen. Durch Medikamente sind sie verlangsamt. Ihre Kräfte schwinden, sie sprechen undeutlich. Und trotzdem nehmen sie am Leben teil. Besuchen meinen Unterricht und versuchen das Beste. Vor ihnen ziehe ich auch meinen Hut.

192 Lebensgeschichten habe ich im vergangenen Schuljahr übergeben bekommen, bei denen mir manchmal alleine durchs Hören schon schlecht wurde. Morgens früh um kurz nach Acht. Um verstehen zu können, warum die Schüler*innen so sind, wie sie sind. Um sie abholen zu können. Um mit ihnen weiter zu gehen.

Und jetzt wird es mal wieder Zeit. Zeit in die Ferien zu gehen und abzuschalten.

Ich freue mich auf das nächste Schuljahr.

Und wann hat das eigentlich angefangen? Das mit der Abwertung von Schulabschlüssen, die nicht mit dem Abitur enden. Das mit der Panik, dass aus den Kindern nichts wird, wenn sie einen Realschulabschluss machen. Oder einen Hauptschulabschluss oder einfach irgendeinen. Wann hat das angefangen, dass die Menschen denken, dass mit dem Abitur in der Tasche alles gut wird? Der Weg bis hin zu diesem hoch gehangenen Schulfinale ist für nicht Wenige ein sehr harter, steiniger, mit Kämpfen durchzogener Weg. Der unglaublich viel Kraft kostet. Der Hobbys frisst und die Freude am Lernen. 

Als Lehrerin in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie sehe ich tagtäglich, dass sich junge Menschen diesem Druck nicht mehr aussetzen möchten. Sie wollen sich das Leben nehmen. Sie wollen sterben. Sie haben Selbstmordgedanken, mal konkret und mal nicht. Sie haben schon einen oder mehrer Versuche hinter sich, aus diesem Leben zu gehen. Weil die Schule nicht mehr zu bewältigen ist. Die Schule! 

In mir brodelt es. Es ist kaum in Worte zu fassen, welch ein Leid von diesem Druck ausgeht, dem einige junge Menschen ausgesetzt sind. Sei es von elterlicher Seite oder durch das bevorstehende Zeugnis. Sei es durch eigens gesetzte Ziele, weil man denkt, mit Abitur stehen alle Türen offen und alles „drunter“ sei kurz vor Hartz IV. Woher kommt das? Wann hat sich das so ins Negative gewandelt?

Warum kann man die wunderbar unterschiedlich begabten Menschen nicht in ihren Lernmöglichkeiten fördern? Jeder Abschluss ist ein Zeugnis dessen, dass gearbeitet wurde. Gepaukt und gebüffelt. Mal mehr und mal weniger. Jeder Abschluss ist im Rahmen der Möglichkeiten dieses Absolventen und dieser Absolventin ein deutliches „Ja, schaut. Ich kann was.“ Wie wunderbar es wäre, wenn das anerkannt würde. Von den Eltern, den Tanten und Opas. Von den zukünftigen Ausbilder*innen. Von der Gesellschaft. Von den Schüler*innen selber.

Es sitzen jungen Menschen in meiner Klasse, die auf das Gymnasium gehen und sagen, sie gehen auf das „Genasium“. Sie wissen, nicht, was eine „Meise“ ist. Geschweige denn, wie viele Bundesländer Deutschland hat. Sie fragen mich, was denn nochmal dieser „Akkesatief“ bedeutet und erzählen mir, dass sie unbedingt Medizin studieren wollen. Gleichzeitig sind diese Menschen in anderen Dingen wunderbar begabt. Die eine Schülerin flechtet ihren Mitpatientinnen die Haare wie eine Profi. Die andere Schülerin zeichnet so toll, dass alle denken, das Portrait sei ein Foto. Noch wieder einer singt, als ob er ausgebildet darin sei. Aber nein. diese Menschen bekommen immer wieder deutlich gezeigt, dass sie versagen. Dass sie nicht in die Schulform passen. Dass sie vielleicht faul sind. Dass die Zukunft mit den Noten echt schlecht aussieht. 

Wenn ich diesen Schüler*innen (und oft auch den Eltern) dann empfehle, die Schulform zu wechseln, bricht für sie eine Welt zusammen. Aber zeitgleich erkenne ich Erleichterung in den Gesichtern der Patient*innen. Dass es jetzt endlich angesprochen wurde, ist wie eine kleine Offenbarung, Nichts muss mehr überspielt werden. Keine Ausreden mehr gesucht werden. Jetzt ist es gesagt und raus. 

All das müsste nicht sein: kein Selbstmordgedanke oder -versuch „wegen der Schule“, keine Versagensängste und keine andauernden Niederlagen, wenn eine Klassenarbeit zurück gegeben wird. All das müsste nicht sein, wenn wir uns alle darauf besinnen, dass jeder Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten das Beste gibt, um auch in Zukunft gut mit sich und anderen leben zu können. Was viele offenbar nicht wissen: für die wahnsinnig grosse Vielfalt gibt es verschiedene Abschlüsse, Berufe, Massnahmen. 

Wir müssen anfangen, all das anzuerkennen und Wert zu schätzen. Dem Abitur weniger Aufmerksamkeit schenken und mehr der einzelnen Leistung im Rahmen der Möglichkeiten. Junge Leute darin bestärken, dass es verschiedene Wege ins Glück gibt. Dies ist nicht nur ein Appell an Väter und Mütter, Lehrerinnen und Lehrer, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Es muss sich in der Gesellschaft einiges tun, damit ich irgendwann nie wieder junge Leute unterrichten muss, die wegen Schule sterben wollen. 

Fangen wir damit an. Ok?

Und heute ist einer dieser Tage. Ein Tag, der von mir als Lehrerin viel Kraft forderte und an dem ich mit einem schlechten Gefühl ins Wochenende gehe. Heute ist ein Tag, an dem eine Schülerin nicht im Unterricht erschienen ist. Und das ist kein gutes Zeichen in dem Umfeld, in dem ich arbeite: in der Kinder-und Jugendpsychiatrie.

Der Tag begann mit meiner Vertretungsstunde im offenen Bereich der Schule. Das heisst, dass die Schüler*innen ohne Begleitung in die Klassen kommen. Meine eigentliche Klasse auf der Intensivstation wird von mir immer abgeholt und in den Raum begleitet. Heute also wartete ich auf die Jugendlichen. Sie trudelten ein und ich war kurz davor, den Unterricht zu beginnen, als mir auffiel, dass eine Schülerin nicht ankam. Ein Anruf auf der Station brachte die Bestätigung: die Schülerin war auf dem sehr kurzen Weg über das Klinikgelände abgehauen. Sie gilt seitdem als vermisst. Das passiert tatsächlich das eine oder andere Mal. Bei diesem Mädchen aber ist die Sorge gross, dass sie nicht mehr zurück kommt. Ein Polizeiaufgebot und einige Telefonate liessen die Schüler*innen in meiner Vertretungsklasse spekulieren, was gerade vor sich ging. Direkt wurde klar, was Sache war.

Und meine Aufgabe bestand nun darin, dennoch Unterricht zu machen. Die Anwesenden zu beschulen und die Sorgen in den Hintergrund zu verbannen. Das ist immer ein wirklicher Kraftakt. Aber es klappt.

Nach der Pause dann fand der Unterricht in meiner Klasse auf der Intensivstation statt. Auch hier war die Information schon angekommen. Hier sind die Gedanken und Grübeleien verstärkt: die Kinder und Jugendlichen sind in der Zeit auf dieser Station äusserst sensibel und feinfühlig. Und auch hier versuchte ich, den Schulalltag so möglich zu machen wie es ging.

Jetzt nach Schulschluss dürfen die Kopfschmerzen endlich raus. Es pocht und das Gesicht fühlt sich heiss an. Das anstehende Wochenende muss ich nutzen, um die Gedanken zu sortieren und das Beste zu hoffen. Am Montag geht es dann wieder weiter.

UPDATE: Das Mädchen kehrte am späten Abend wohlbehalten in die Klinik zurück. Was für eine frohe Botschaft!

 

 

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